Farb- und Stilberatung für blinde und sehbehinderte Menschen

Workshop Typberatung für blinde und sehbehinderte Frauen

Die blinden und sehbehinderten Teilnehmerinnen erhielten eine einfühlsame Beratung.

Liebe Leser,

heute geht es um ein sehr spannendes umfangreiches Thema. Erkenntnisse und Erfahrungen mit einer Gruppe von Blinden und Sehbehinderten begleiten mich seit einiger Zeit. Blinde Frauen sind genauso unterschiedlich wie alle Frauen, alle Menschen. Sie haben ihren eigenen Ausdruck und Stil, individuelle Persönlichkeiten und Geschmäcker. Sie haben ein inneres Spiegelbild von sich selbst, dem man mit etwas Hilfe von außen noch mehr Ausdruck verleihen kann.

Hier erfahren Sie, wie es ist nichts, oder gar nur hell oder dunkel von der Welt zu sehen und wie man es schafft, den Alltag zu bezwingen. Ich bekam eine Anfrage für einen Workshop für blinde und sehbehinderte Menschen von Regine Sigl, BSV-Württemberg e.V., dem Verein für Blinde und Sehbehinderte.

Dieses Angebot war verlockend, aber trotzdem kamen Zweifel auf, ob ich das will und kann. Denn bisher hatte ich keinen Kontakt mit so vielen blinden und sehbehinderten Menschen auf einmal.

Ein Interview:

Monika Wolking mit Frau Sigl über Farbe und Stil

Farb- und Stilberatung für blinde Menschen

Das Thema ließ mir keine Ruhe mehr und wollte mehr darüber erfahren. Frau Sigl, eine sehr liebenswerte blinde Frau, die schon lange mir Ihrer Diagnose lebt, lernte ich schon bald kennen. Dem Workshop ging ein kurzes Interview mit Frau Sigl voraus:

Wie erkläre ich sehbehinderten und blinden Menschen Farben?

Das ist immer eine schwierige Frage. Am besten geht es über Riechen, Schmecken, Fühlen. Wichtig ist zu wissen, ob die Kunden im Laufe ihres Lebens erblindet sind oder früher sehen konnten, ob sie zu 100% blind ist oder Farben wage erkennen können.

Farben werden anhand von Gebrauchsgegenständen oder Dingen aus der Natur beschrieben, die teilweise auch duften: Nute, Taube, Koralle, Zitrone, Senf, Karamell und vieles mehr. Wenn die Dinge oder Düfte aus der Natur als angenehm empfunden werden, kann man auch darauf schließen, dass die Kundin eine innere Sympathie für die Farbe hat.

Was ist in einer Stilberatung in Bezug auf Stoffe und Qualitäten wichtig?

Wichtig ist zunächst, dass die Kleidung in der Waschmaschine gewaschen werden kann. Also möglichst keine Handwäsche oder chemische Reinigung. Welche Stoffe die Kundin als angenehm oder hautfreundlich empfindet kann sie erfühlen oder auch riechen.

Was können wir Sehende tun um auch blinden Menschen bei Ihrem persönlichen Stil und Ausdruck zu unterstützen? 

Von einer einfühlsamen, typgerechten Beratung wird die Kundin auf jeden Fall profitieren. Ich finde Ehrlichkeit und Objektivität sehr wichtig. Dazu gehören auch Fingerspitzengefühl, Menschenkenntnis und den Blick für die Persönlichkeit der Person.

Was würde Dir aus deiner Sicht beim Einkaufen helfen?

Das sind zunächst mal ganz praktische Dinge, z.B. dass die Kleiderbügel auf der Stange nicht zu eng hängen, möglichst keine Kombinationen, sondern nur Einzelstücke pro Bügel. Eine vollständig bekleidete Puppe zum Tasten ist ideal.

Was ist wichtig zu wissen für Farb- und Stilberater, wenn eine Beratung angefragt und durchgeführt wird?

Das kommt darauf an, wie viel Zeit die Kundin verbringen möchte. Man sollte möglichst einen Tag vereinbaren, an dem die Kundin anschließend keine Termine hat, damit evtl. eine Verlängerung möglich ist. Diese Zeit sollte man gut einplanen. Zeitdruck ist schlecht. Es ist sinnvoll, vorher schon Vereinbarungen zu treffen über den Umfang der Beratung in der Farb- und Stilberatung: Einkaufen, Kleiderschrank-Check, Schuhe, Accessoires wie Taschen oder Schmuck, welche Art der Kleidung, z.B. Mantel oder Wäsche, ob Kosmetik und Frisur mit eingeplant werden sollen.

Wie sieht es mit Schminke aus?

Manchen Blinden ist das wichtig, aber es ist nicht immer gewünscht und auch nicht grundsätzlich nötig. Wenn eine Kundin auffallend farblos wirkt, sollte das angesprochen werden und Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie sich das ändern lässt. Manchmal reichen schon etwas Lippenstift oder Accessoires wie mit Stirnband, Ohrringe, ein Tuch oder eine Mütze wenn keine Schminke gewollt ist. Auch eine Brille oder Sonnenbrille kann viel bewirken, da die Augen mancher Blinden nicht besonders schön aber empfindlich sind. 

Eleganz heißt nicht, ins Auge zu fallen, sondern im Gedächtnis zu bleiben!

(Giorgio Armani)

“Wir leben in einer visuell orientierten Welt. Sehende Mitmenschen nehmen uns mit einem kurzen Blick wahr. Ein falscher Eindruck lässt sich nicht mehr so schnell korrigieren.

Damit nicht gerade blinde oder sehbehinderte Menschen in eine falsche Schublade einsortiert werden, benötigen wir kurze aussagekräftige Anweisungen für unser tägliches Outfit. Dies ist für die Teilhabe an der Gesellschaft sowie im Berufsleben eine wichtige Voraussetzung um akzeptiert zu werden. Lösungen werden aufgezeigt, die man mit kleinem Aufwand ganz alleine umsetzen kann. Beruflich & privat gibt es die passende Kleidung oder Dresscode. Wir wollen die perfekte Balance zwischen Einfachheit und übertriebener Raffinesse finden.”

Blinde Menschen sind anders – Sehende aber auch

Es war ein sehr beeindruckendes und auch lehrreiches Wochenende für mich. Ich gewann eigene Erkenntnisse und Gedanken nach dem Seminar mit 30 Blinden und sehbehinderten Teilnehmern. Hier meine Zusammenfassung mit Eindrücken und Erlebnissen.

Ich war emotional stark beeindruckt von den lieben Menschen. Es war erstaunlich, wie sich trotz der eingeschränkten Sehkraft der Gäste alles von selbst organisiert hat. Zum Beispiel waren auf der einen Seite unseres Raumes die Teilnehmerinnen ohne Hunde, auf der anderen Seite die Teilnehmerinnen mit Hunden.

Alle Teilnehmerinnen waren gespannt, mehr über dieses Thema zu erfahren. Die Teilnehmerinnen konnten durch praktische Beispiele bei jedem einzelnen Beitrag aktiv teilnehmen und hatten großen Spaß daran, mehr über Ihren Körper und ihre Wirkung zu erfahren.

Das Verständnis von Farben ist immer etwas Subjektives. Egal ob jemand gesunde Augen besitzt oder nicht. Wenn Farben auf jeden Menschen gleichermaßen wirken würden, gäbe es ja keine individuellen Lieblingsfarben. In der Unterscheidung zwischen Geburtsblinden und spät erblindeten Menschen kann man in der Vorstellungswelt folgendes wahrnehmen:

Ein Geburtsblinder hat wahrscheinlich noch nie eine Farbe mit den Augen erfasst. Z.B. Rot lässt sich mit Inhalt füllen, welcher einer bestimmten Bedeutung entspricht. Es lernt zu verstehen, dass Rot Gefahr bedeuten kann durch Sirene, Feuerwehr, Blut. Oder auch Romantik und Süße ausstrahlt wie Rosenduft und Erdbeereis.

Als sehender Mensch kann man sich einen Tagesablauf in der Dunkelheit nicht vorstellen. Sehr beeindruckt hat mich, dass es diesen Verein „Blinden- und Sehbehindertenverein Württemberg“ gibt, wo sich betroffene Menschen ein Netzwerk aufbauen können, Hilfe und Unterstützung erhalten und die Möglichkeiten haben sich über die technischen Hilfsmittel auszutauschen.

Das Mittagessen hat mir gezeigt, dass es unheimlich schwer ist, blind zu essen. Wichtig dabei ist, klare Anweisungen zu geben, wo was steht. Dabei habe ich gelernt, dass es am besten nach der Uhrzeigeprinzip-Erklärung funktioniert.

In der Gruppe erfuhr ich, dass ein großes Interesse zu dem Thema „Farbe und Stil“ besteht, ich legte z.B. einigen Personen ein Seidentuch mit fast allen Farben auf. Von hell bis dunkle Farben changiert. Interessant bemerkte ich überraschende Reaktionen wie z.B. toll, diese Farben stehen mir, oder diese Farbe fühlt sich gut an für mich. Mir haben diese Reaktionen und Freude in diesen Menschen sehr gefallen.

Bericht einer Teilnehmerin zum Frauenwochenende

Praktische Tipps vom Fuß bis zur Locke

am 15.-17. März 2019 mit Typberaterin Monika Wolking nach dem Wochenende

Anke Bitz, Walzbachtal schrieb:

“Vom 15.-17.März 2019 veranstaltete die Frauengruppe des Blinden- und Sehbehindertenvereins Württemberg ein Frauenwochenende. Zu diesem Seminar mit dem Motto „Farbe trifft Stil –praktische Tipps vom Fuß bis zur Locke“ hatte Frau Regine Sigl eine sehr kompetente Expertin, Frau Monika Wolking, eingeladen. Das Thema fand großes Interesse, das Seminar war mit 30 Teilnehmerinnen schnell ausgebucht.

Nach dem Abendessen am Freitagabend ging es dann los. Nach einer Begrüßung durch Frau Wolking folgte eine Vorstellungsrunde der Teilnehmerinnen. Diese kamen aus allen Landesteilen – von Ravensburg bis Mannheim und von Ulm bis zum Kaiserstuhl.

Frau Wolking fragte die Teilnehmer nach ihren Erwartungen, nach ihren Wünschen und notierte diese auf einem Flip Chart. Schnell war eine ganze Seite gefüllt und bestätigte das Interesse der Teilnehmerinnen an diesem Thema.

Es folgte eine Einführung in das Thema. Sein Erscheinungsbild günstig zu gestalten ist für Sehbehinderte und Blinde natürlich auch wichtig aber ungleich schwieriger als für Sehende. Basis für die Beurteilung und Festlegung des persönlichen Farbtyps sind die Farben der Haut, der Haare und der Augen.

Je nach Typ werden mit Kleidern in warmen oder kühlen Farben die Eigenfarben positiv hervorgehoben. Dies wurde mit Farbtüchern an einzelnen Teilnehmerinnen demonstriert. Dieser Farbtyp bleibt ein Leben lang derselbe. Für die Festlegung des Stiltyps sind die Körpergröße und -form, die Proportionen und der Farbtyp wesentlich. 
 So kann für eine Person der passende Stiltyp entweder verspielt, dramatisch, klassisch oder auch sportlich sein. Die Abschätzung der eigenen Proportionen zeigte Frau Wolking durch Vergleich mit der Einteilung des Körpers in 4 Viertel. Durch geschickte Wahl der Rocklänge und der Länge der Oberteile können Abweichungen von idealen Proportionen ausgeglichen werden wie an Beispielen gezeigt wurde und wie jeder für sich durch Probieren herausfinden kann.

Bei der Ärmellänge demonstrierte sie, dass man mit unterschiedlicher Länge eine Quer- oder eine Längsbetonung erreichen kann. Neben den Farben und dem Stil sind für ein gelungenes Outfit aber auch die Qualität der Materialien und die Passform entscheidend, wie sie auch an Beispielen zeigte. Kleidung wird oft zu eng getragen. Man sollte sich auch nicht so sehr an die auf dem Schild angegebene Größe halten (diese sind in der EU ohnehin unterschiedlich).
Für die Garderobenplanung gab sie Hinweise. So sollten ruhige Basisfarben gewählt werden und mit verschiedenen Akzentfarben aus der gleichen Farbgruppe (warm, kalt) kombiniert werden. Mit den Beispielen und Übungen zum Tücherbinden ging am Sonntagvormittag das Seminar zu Ende.

Insgesamt lässt sich sagen, dass das für Sehbehinderte und Blinde schwierige und informative Thema von Frau Wolking kompetent und verständlich vermittelt werden konnte. Auf die vielen Fragen wurde ausführlich eingegangen, Einzelheiten gut erklärt, auch aufgrund des reichlichen Demonstrationsmaterials, das sie mit dabei hatte.”

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